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Der Online-Shop von Antipreneur schließt

Antipreneur: Der wohl ehrlichste Online-Shop Deutschlands macht nach zehn Jahren dicht

Waldbrandtapete, Fluchtsaftgetränke und O.K.-Tropfen – diese bizarren Produkte gehören zum Angebot des Antipreneurs. Nach zehn Jahren im Netz schließt der Online-Shop zum Jahreswechsel auf 2019 seine Pforten. Damit verschwindet nicht nur ein Stück zynischer Humor, sondern auch gnadenlos ehrliche Gesellschaftskritik.

Wie wäre es mit einer Armbanduhr für 96.240 Euro? Sie ist aus Gold, mit Diamanten besetzt und gefertigt in Sierra Leone, einem der ärmsten Staaten der Welt. Aber aufgepasst: Zeiger besitzt sie nicht. Denn wer sich die Privatier-Armbanduhr des Online-Shops Antipreneur leisten kann, für den würde Zeit ja sowieso „keine Rolle“ mehr spielen.

Keine Rolle spielt im Antipreneur-Shop auch, ob die Produkte überhaupt zu gebrauchen sind: Eine Fototapete, die nichts anderes zeigt als Waldbrände verschiedener Arten (von der fulminanten Feuerwalze bis zum malerischen Schwelbrand), gehört ebenso zum Repertoire des Shops wie die Not-To-Do-Listen, mit denen leidenschaftliche Aufschieber die Lizenz zum Nichtstun erwerben. Ein besonderes Mitbringsel für alle Feinde sind die Unglückskekse mit fiesen Botschaften, die es ebenfalls in dem Shop zu kaufen gibt.

Zum Shop: Antipreneur

Der Antipreneur ist der wohl ehrlichste Online-Shop Deutschlands. Zum Neujahr 2019 wird er eingestellt.

Der Antipreneur Shop verkauft keine echten Artikel

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Zum Shop
Fluchtsaftgetränke
Unglückskekse
Leidcreme
Pharmaschinken

Überraschung an der Kasse

Das klingt nicht nur kurios, es ist es auch. Denn wer nun die Kreditkarte zückt, um mit den Unglückskeksen seinen Vorgesetzten zu erfreuen, der muss sich auf eine Enttäuschung gefasst machen: Die Produkte existieren nur virtuell.

Der Antipreneur, das ist ein Kunstprojekt des Aktivisten Jacob Chromy. Zehn Jahre lang hat er und sein zwanzigköpfiges Team mit den liebevoll konzipierten Produktideen die kauffreudigen Online-Shopper aufs Korn genommen – so unverblümt, wie kaum ein anderes Projekt zuvor. Den Bluff bemerken die Kunden erst an der Kasse, nachdem sie die eigentlich nutzlosen Produkte schon in den Warenkorb gelegt hatten. „Vielen Dank für Dein Interesse an den Unglückskeksen“, steht dann auf der Webseite. „Leider sind diese Kekse unverkäuflich.“

Dabei hätte der Käufer spätestens beim Lesen der Produktbeschreibungen das Trugbild erahnen können. Denn hinter den humorvollen Witzprodukten versteckt sich oft Zynismus: Die Kekse werden im „Einschichtbetrieb rund um die Uhr“ in China hergestellt, steht etwa in der Beschreibung. Das Fluchtsaftgetränk wird jedem Grenzgänger empfohlen: „Ob barfuß durch nordmexikanischen Wüstensand oder mit dem Motorboot übers Mittelmeer“.

Wer diesen unmoralischen Angeboten verfallen ist, wird sich nun an der Kasse fragen müssen, warum er für die unnützen Produkte Geld ausgeben wollte, statt es zum Beispiel sinnvoll zu spenden. Den Aha-Moment weiß der Antipreneur zu nutzen und schlägt den verdutzten Käufern die thematisch passenden Spendenprojekte vor.

Konsum- und Gesellschaftskritik humorvoll verpackt

Der Antipreneur gehört zu der Gattung der Online-Shops, die zeigt, wie das Online-Shopping nicht funktionieren soll, aber eben doch funktioniert. Chromy sagt dazu: „Wir wollten den Menschen zeigen, wie man sie verführen kann, Geld für Dinge auszugeben, die eigentlich Quatsch sind“. Zu dieser Konsumkritik gehört, dass der Shop am Mittag eine zweistündige Pause einlegt und sonntags sogar ganztägig geschlossen hat.

Beim Antipreneur gibt es eine Mittagspause

Ein Rollgitter versperrt in der Mittagspause den Zugriff auf den Shop

Zehn Jahre nach dem Start des ehrenamtlichen Kunstprojekts zieht der Erfinder nun aber die Reißleine. Updates gab es in den vergangenen Monaten keine mehr. Die Seite ist nicht einmal für das Handy optimiert. „Offiziell“ lautet die Begründung für das Aus des Projekts:

Wir melden zum 1.1.2019 Unsolvenz an. Warum? Menschen kaufen nur noch lokal bei Händlern ein – die meisten sogar nur fair, bio, regional. Das trifft uns als Online-Shop hart. Wir ziehen die Konsequenzen und machen den Laden dicht. Wir propheizen ein Online-Ladensterben und ergeben uns als erste den verantwortungsvollen Konsumenten. Zuerst trifft es die Großen wie Antipreneur, dann nach und nach die kleineren Online-Händler wie Amazon.

Im Ernst gesteht sich der Erfinder Chromy jedoch ein, „gescheitert“ zu sein mit der humorvollen Art, auf gesellschaftliche, wirtschaftliche und ökologische Probleme hinzuweisen. „Die Idee, mit Humor zu kritisieren, hatte ihren Charme, aber wir glauben nicht mehr daran“, so Chromy gegenüber unserem Magazin. „Humor half leider nicht bei der Lösung der Probleme, wie wir es uns erhofft haben.“

Spendengelder zu sammeln war für Chromy stets nur ein Nebenaspekt seines Online-Shops. Viel eher wollte er mit den Produkten, die sich das Team über die Jahre hinweg ausgedacht haben, die Probleme der Gesellschaft klar machen. Jeder Artikel adressiert ein anderes: die Waldbrandtapete Umweltschäden, der Milchmädchenrechner die Folgen der Finanzkrise oder die Nordic-Stalking-Stöcke die Überwachungsgesetze. Neben der Konsumkritik als solche war das ein Hauptanliegen des Aktivisten, der in das Projekt Geld im Wert eines „billigen SUVs“ investiert hat.

Zehn Jahre Antipreneur haben jedoch gezeigt, wie schwierig es ist, mit Witz und Humor tatsächlich etwas bewegen zu können: „Alles, was wir schon vor Jahren liebevoll angemahnt haben, hat sich weiterentwickelt – aber leider meist zum Schlechteren“, sagt Chromy und ergänzt: „In Zeiten, in denen es selbst Kabarettisten und Satiriker in die Politik zieht, Clowns an der Macht sind, hat sich unser Fake Online-Shop wohl auch überholt.“

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